Zanskar und Ladakh – das Land der hohen Pässe
Ladakh, das »Land der hohen Bergpässe« ist eine karge Hochgebirgswüste am Übergang vom Karakorum zum Himalaya, die von unzähligen steilen Gipfeln und Bergkämmen sowie abgelegen Täler und Hochebenen, die nur über hohe und höchste Passstraßen erreicht werden können, geprägt wird. Umschlossen von hohen Himalaya-Gipfeln grenzt im Süden die Region Zanskar, das »Land des weißen Kupfers«, an Ladakh. Die unglaubliche Abgeschiedenheit, das extreme Klima und die große Entfernung von den wichtigen Himalaya-Handelsrouten haben dafür gesorgt, dass Zanskar – im Gegensatz zum weiter nördlich gelegenen Indus-Tal – kaum unter den Einfluss von Erneuerung und Veränderung geraten konnte.
Während der Rummel um berühmte heilige Orte in den westlichen Ländern mehr und mehr in eine Art Unterhaltungsarchäologie abdriftet, hat sich in Ladakh und Zanskar ein sehr unmittelbarer Bezug zum Sakralen erhalten. Die von Höhlen oder Hainen, Bergen, Schluchten, Flüssen, Quellen und anderen Orten in der Natur ausgehende spirituelle Kraft spricht die gläubigen Ladakhis bis heute an. Den Menschen hier dienten ihre Heiligtümer zeitlebens dazu, ihr Bewusstsein im Außen abzubilden, es dem Land einzuschreiben, so dass es ihre kollektive Stammeserinnerung ihre Mythen und heiligen Texte bewahrte und als ihr Tempel diente. Vor allem in der Abgeschiedenheit Zanskars ist dieses Verständnis noch zu spüren. Hier findet man noch zahlreiche Monumente, Tempel und andere von Menschenhand geschaffene Plätze für Begräbnisse, Rituale und Zeremonien die in Beziehung zu besonderen, seit alten Zeiten spirituell oder mythisch bedeutenden Orten in der Landschaft stehen.
Buddhistische Heiligtümer sind dafür das sichtbarste Zeichen. Oft als »Klein-Tibet« oder das »letzte Shangri-La« beschrieben, haben sich Ladakh und Zanskar gegen einen übermächtigen Hinduismus und Islam als Enklaven des tantrischen Buddhismus erhalten, der hier seit fast tausend Jahren die vorherrschende Religion bleiben konnte. Besonders deutlich zeigt sich das an den meist auf felsigen Berggipfeln erbauten mittelalterlichen Klöstern. Diese gompas sind sowohl die Hüter uralten Wissens als auch lebendige religiöse Zentren.
Zu den allgegenwärtigen Spuren des Buddhismus in Ladakh zählen neben den Tempeln die Chörten am Eingang von Dörfern und Klöstern. Sie sind das tibetische Äquivalent der indischen Stupa: große, halbkugelförmige Heiligtümer aus Lehm und Stein. Jeder Chörten steht dabei für Buddhas Eingehen ins Nirvana: Die lange, kegelförmige Spitze, die aus 13 Ringen besteht, repräsentiert die 13 Erleuchtungsstufen des Buddha, während die von einer Mondsichel umgebene Sonne auf der Spitze für die Vereinigung von Gegensätzen und die Einheit von Existenz und Universum steht. Manche Chörten enthalten heilige Manuskripte, die, ebenso wie die Chörten selbst, im Laufe der Zeit verwittern und verfallen – als Widerspiegelung der zentralen buddhistischen Idee der ständigen Veränderung der Welt. Chörten werden immer im Uhrzeigersinn umrundet, ein Ritual das den Lauf der Planeten am Firmament symbolisiert und böse Geister abhalten soll.
Weitere, oft zu sehende buddhistische Symbole sind auch die Mani-Mauern. Solche Mauern findet man immer wieder an religiösen Stätten in Ladakh. Sie können nur wenige Meter oder einen Kilometer lang sein und bestehen aus bis zu Hunderttausend Steinen, von denen jeder einzelne mit einem Gebet oder heiligen Mantra beschrieben ist – normalerweise mit dem Mantra om mani padme hum, »Juwelen-Lotos«.
Neben den von Menschenhand geschaffenen Heiligtümern spielen, wie in Tibet und Nepal auch, Naturphänomene eine herausragende Rolle. Noch bevor sich der Buddhismus in Ladakh durchsetzen konnte, waren die Bewohner dieser Gebirgswelt Anhänger einer animistischen Religion, in der insbesondere Schamanen eine große Rolle spielten. Vermutlich gehörte die Region auch zum mythisch verklärten Land Ölmo Lungring, in dem die alte tibetische Bön-Religion ihren Ausgang genommen und der Religionsgründer Shenrab Mibo gelebt und gelehrt haben soll. Schamanische Elemente und Riten sind bis heute wichtige Bestandteile im tibetischen Buddhismus auch von Ladakh und der Alltag der Menschen ist noch immer stark mit einem animistischen Volksglauben verbunden. So nimmt der Glauben um Geister rund um Haus und Felder einen wichtigen Platz im Alltagsleben der Ladakhis ein. Die Vertreibung von bösen Geistern und das Anlocken von Guten ist trotz der Verbreitung des Buddhismus noch immer ein wesentlicher Bestandteil ihres täglichen Lebens.
Und natürlich spielen auch die allgegenwärtigen Berge eine bedeutende Rolle als Heiligtümer. Viele von ihnen sind nicht nur aufgrund ihrer Form, in der sich die Gegenwart einer Gottheit oder eines anderen Wesens ausdrückt, mit Bedeutung aufgeladen, sondern auch weil sie die Energie dieser Form verströmen. Sie sind besonders prädestiniert für die Errichtung von Heiligtümern, ist man hier den Gottheiten, dem Göttlichen und dem Himmel doch besonders nahe. Zugleich sind Berge die Hüter des Wassers, Quellorte von Flüssen und Bächen und Ursprung von Regenwolken, Donner und Blitz. Die weithin sichtbaren Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln sind meist für die belebte Welt unter ihnen schwer erreichbar und somit Orte von unbefleckter Reinheit. Der Berg ist damit das vollkommene Symbol für die Transzendenz und somit die ideale Umgebung für den Yogi, den meditierenden Mönch oder den Asketen, von denen es in Ladakh reichlich gibt.
Neben den Bergen waren nicht zuletzt Höhlen in der wüstenähnlichen Umgebung Ladakhs beliebte Stätten für Naturheiligtümer. Sie dienten nicht nur als Wohnraum und Schutz, sie waren auch die ersten Tempel. Sie sind der Eingang in die Unterwelt, der Übergangsort, an dem das Licht erlischt und die ewige Dunkelheit beginnt. Die Höhle steht für den Übergang zwischen wachen Bewusstseinszustand und den dunklen Tiefen des Unterbewusstseins, sie ist der Ort für Visionen und Träume, aber ebenso für die geisterhaften Zerrbilder, die dem Auge aus den Formen der Stalaktiten und Stalagmiten entgegenspringen. Welcher Ort könnte also idealer für eine buddhistische Meditation sein, als eine Höhle. Entsprechend wird auch die Einführung des Buddhismus in Ladakh mit Höhlen in Verbindung gebracht. Der Legende nach meditierte Padmasambhava in verschiedensten Höhlen, unterwarf so die Dämonen und konnte dadurch den tantrischen Buddhismus in Ladakh festigen. Heute sind um diese Höhen oft wichtige Klöster wie das Kloster Lamayuru zu finden.
Tex Oliver Fülling